„Das ist die wahre Seuche des 21. Jahrhunderts"

Der renommierte Sportmediziner und Universitätsprofessor Dr. Paul Haber fordert die österreichische Bevölkerung auf, sich mehr zu bewegen. Aufgrund des Bewegungsmangels sieht der Vizepräsident des ASVÖ Österreich und Präsident des ASVÖ Wien viele Probleme aufkommen.

Wie viel muss sich ein erwachsener Mensch Ihrer Meinung nach bewegen, damit er fit bzw. gesund ist?

Dreimal die Woche sollte man Sport betreiben. Es sollten insgesamt zwei bis drei Stunden Ausdauertraining enthalten sein - aufgeteilt auf diese drei Tage, sprich drei mal 40 Minuten bis hin zu drei mal eine Stunde. Und an zwei Tagen der Woche, die kombiniert sein können mit Ausdauertraining, ein Muskeltraining. Die optimale Empfehlung ist sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining. Wobei das Krafttraining mit zunehmendem Alter an Bedeutung gewinnt. Das ist allerdings schon die optimale Empfehlung. Das heißt jemand, der bislang noch nichts gemacht hat, sollte nicht mit diesem Programm einsteigen. Das wäre für den Anfang deutlich zu viel. Wenn jemand wirklich lange Zeit nichts gemacht hat, würde ich empfehlen, dass er damit beginnt, an drei Tagen der Woche etwas zu machen - das kann man bereits einführen, damit es eine Gewohnheit wird. Aber das Ausdauertraining sollte man mit circa 15 Minuten beginnen und etwa alle vier Wochen um zusätzliche fünf Minuten pro Trainingseinheit steigern, bis man beim Optimalumfang angelangt ist. Wesentlich ist, dass dieser beibehalten wird. Training ist eine lebenslange Aufgabe. Das ist ein Programm, zur optimalen Erhaltung und Prävention allerlei möglichen Zivilisationskrankheiten.

Wie sehr unterscheidet sich dieses Programm für Kinder?

Kinder sollten sich jeden Tag bewegen. Da ist die tägliche Bewegungsstunde in den Schulen eine Forderung des Sports an den Bildungssektor. Da ist es eindeutig so, dass regelmäßige Bewegung in Kindesalter nicht nur körperliche Effekte bringt - zum Beispiel bekämpft Bewegung erfolgreich das Übergewicht. Regelmäßige Bewegung hat aber auch einen eindeutig positiven Effekt auf die kognitive Fähigkeit. Zusammengefasst kann man sagen: Kinder, die keinen Purzelbaum können, sind auch schlechter im Kopfrechnen. Das gilt übrigens auch für Erwachsene. Wenn man sich regelmäßig bewegt, betreibt man auch eine wirksame Vorsorge gegen Demenzerkrankungen. Auch Erkrankungen wie Parkinson treten seltener bei Menschen auf, die sich regelmäßig bewegen. Sie sehen, ich betone sehr das Wort "regelmäßig". Wer einmal im Jahr vier Wochen einen Fitnessurlaub einlegt und die restlichen 48 Wochen nichts tut, profitiert nicht, da profitiert nur das Hotel, in welches man fährt. Umgekehrt jedoch, wenn man sich 48 Wochen bewegt, kann man vier Wochen ausfallen lassen. Man muss nicht hart trainieren, aber man muss regelmäßig trainieren.

Sie haben beim Bewegungsmangel von der "Seuche des 21. Jahrhunderts" gesprochen. Wann hat es angefangen, dass sich Menschen zu wenig bewegen und welche Krankheiten sind seitdem häufiger geworden?

Um 1900 war der durchschnittliche Energieumsatz in der Größenordnung von über 3.000 Kilokalorien - das gilt für Menschen, die körperlich gearbeitet haben. Das ist über die letzten Millionen Jahre ein üblicher Bewegungsumfang. Der erste Rückgang war dann ungefähr in den 40er- und 50er-Jahren. Da ist es zu einem Rückgang an körperlicher Aktivität durch die Mechanisierung der Arbeit gekommen, viele Tätigkeiten sind von Maschinen übernommen worden. So hat der Energieverbrauch abgenommen, das Entscheidende war jedoch, dass die große Masse der Menschen das ausregulieren konnte. Das heißt, sie haben auch weniger gegessen. Ein Übergewicht war zu dieser Zeit in unseren Breitengraden selten. Von damals bis heute gibt es einen weiteren Rückgang an alltäglicher Bewegung, auf etwa 2.000 bis 2.700 Kilokalorien pro Tag. Die Energieaufnahme hat aber nicht im gleichen Maß abgenommen, wie der Energieverbrauch. Das ist die Grundlage für die epidemische Auftretung von Adipositas, dem Übergewicht. In Österreich sind 40% aller Erwachsenen übergewichtig. Das wiederum ist die Grundlage für eine ganze Latte an Zivilisationskrankheiten. Das betrifft den Kreislauf, die Arteriosklerose, die je nachdem wo sie sich ausbildet unterschiedliche Symptome bringt - das kann ein Herzinfarkt sein, bis zum Schlaganfall oder die Schaufensterkrankheit - es ist der Stoffwechsel betroffen - da ist die häufigste Krankheit das Altersdiabetes, die auch schön langsam epidemisch in unseren Breitengraden wird. Man kann auch herausfiltern, dass eine schlechte körperliche Verfassung der stärkste Prognosefaktur für eine frühzeitige Erkrankung mit möglicher Todesfolge ist. Die wichtigste prophylaktische Maßnahme ist also die Erhaltung der körperlichen Fitness. Das ist sogar wichtiger als Gewichtabnehmen. Ein paar Kilo zu viel sind bei weitem nicht so riskant wie eine schlechte körperliche Verfassung.

Was kann man Ihrer Meinung nach dagegen unternehmen, um diese "Seuche" aufzuhalten?

Die wichtigste Maßnahme wäre, dass man möglichst viele Menschen dazu bringt, sich regelmäßig zu bewegen. In Österreich bewegen sich maximal 20-25% regelmäßig, 75% tun das nicht. Ein Ziel wäre, dass sich bis zu 60% oder mehr Erwachsene regelmäßig bewegen. Im Idealfall alle. Das ist kein primär medizinisches Problem, denn diese sind mehr oder weniger gelöst, man weiß was man tun soll und wie man es tun soll. Es ist mehr ein Problem der Erwachsenenpädagogik. Wie bringt man 75% der österreichischen Bevölkerung dazu, sich regelmäßig zu bewegen? Das ist noch nicht gelöst. Alle Menschen, die im Rahmen des Gesundheitssystems mit Klienten zu tun haben sollten diesbezüglich einwirken - das können Masseure sein, Physiotherapeuten, Krankenpfleger. Aber auch Institutionen, die sich an viele Menschen wenden können, das sind in erster Linie die Krankenversicherungen, Gewerkschaften, Kammern - alle die, die einen Zugang zu einer großen Gruppe an Menschen haben, sind gefordert pädagogisch aufklärend und fördernd zu wirken, wenn man dieses Ziel erreichen möchte.

Wenn man als Kind regelmäßige Bewegung gewohnt ist, führt man diese auch eher als Erwachsener weiter. Welche Schritte fordern Sie also ganz speziell bei Kindern?

Bei Kindern müsste umgesetzt werden, dass sie sich täglich eine Stunde bewegen können. Da kommt es wieder darauf an: In Familien, die körperliche Bewegung mit den Kindern pflegen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das in das erwachsene Alter fortsetzt größer als in Familien, in der die Eltern kein Beispiel geben.

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