Der geheime Volkssport

Der Eis- und Stocksport zählt in Österreich über 107.500 Mitglieder, dennoch mangelt es an öffentlicher Wahrnehmung. Wie kann dieser Volkssport aus dem Schatten treten?

Die Frage nach dem mitgliederstärksten Verband in Österreich ist recht schnell beantwortet – Fußball dominiert das Land mit 432.433 Aktiven. Auch die beiden verbleibenden Stockerlplätze kommen nicht besonders überraschend: Tennis mit knapp 174.000 Sportlern und Skifahren mit rund 141.000 Mitgliedern. Alle drei verbindet neben den großen Mitgliederzahlen auch jede Menge Präsenz in den Medien und der Öffentlichkeit. Doch auf Rang vier folgt dann doch eine faustdicke Überraschung. Der Eis- und Stocksport zählt im Jahr 2019 genau 107.503 Mitglieder und ist damit ein wahrer Volkssport hierzulande. Allein im Burgenland gibt es 31 Vereine mit über 1.100 aktiven Sportlern.

„Alle wichtigen Faktoren, die man im Sport braucht, hat man hier beieinander“, erklärt Alexander Weber, Landesfachwart für den Stocksport beim ASVÖ Burgenland, die Vorzüge dieses Sports: „Vom körperlichen Einsatz ist es weniger auf die Ausdauer gerichtet, sondern eher auf die Taktik und Kraft.“ Hinzu kommen auch noch der Teamgedanke und der Spaß mit den Kollegen. Der Gedanken des Zusammenkommens hat auch den Grundstein für die Sportart gelegt, wie Weber erzählt: „Der Stocksport ist aus dem Jagdsport gekommen. Das Ländliche am Stocksport war eigentlich das Zusammenkommen der Arbeitsleute und Bauern im Winter auf einem zugefrorenen Teich, wo sie mit Holzstöcken gespielt haben. Mittlerweile hat sich das mit der Technologie weiterentwickelt. Wir spielen mit Kunststoffplatten, wir spielen auf Eis, wir spielen auf Asphalt.“ Es wird sogar vermutet, dass die ersten Vorläufer des Stocksports im 13. Jahrhundert aus Skandinavien kommen.

Österreich mit internationaler Dominanz

Den Stocksport zeichnet jedoch nicht nur große Mitgliedschaft und lange Tradition aus, die rot-weißroten Sportler dominieren auch die internationalen Wettkämpfe. Der aktuelle Champions-League-Sieger SU Guschlbauer Sankt Willibald kommt aus Oberösterreich. Auch die Bilanz bei der Heim-WM 2018 und den vorangegangenen Jugend- und Junioren-Weltmeisterschaften und Europameisterschaften liest sich beeindruckend: 13 x Gold, 10 x Silber und 5 x Bronze für Österreich. Mediale Aufmerksamkeit bekommt die Disziplin dennoch kaum. Landesfachwart Weber erklärt sich das so: „Der Stocksport ist nicht sehr fernsehtauglich, weil es für den Zuseher, wenn er sich nicht wirklich auskennt, komplett fremd ist. Und es ist auch sehr zeitintensiv. Ein Turnier im Stocksport dauert zwischen sechs und acht Stunden, das überträgt kein Mensch. Dadurch ist es nicht sehr interessant für Medien. Es ist zwar sehr populär, aber für die Medien fehlt der Reiz.“

Als Gegenbeispiel fungiert etwa Handball. Der Sport wird in Österreich von deutlich weniger Personen ausgeübt (21.260) und auch die internationalen Erfolge sind nicht zu vergleichen, dennoch wird viel darüber berichtet. Für Weber liegt der Grund in der für Zuseher angenehmen Spieldauer von zweimal 30 Minuten. Den Sport anzupassen und damit für die Öffentlichkeit interessanter zu gestalten, ist allerdings schwierig. Weber holt dabei aus: „Du brauchst eine breite Basis für Spitzensport. Das ist wie bei einer Pyramide: Du brauchst unten sehr viele und die kämpfen sich nach oben. Wir haben zwar sehr gute Einzelsportler bzw. im Teambereich viele Mannschaften, die sehr gut sind. Weltweit gibt es aber nicht sehr viele Organisationen, die den Sport betreiben. Hauptsächlich sind es Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien – der europäische Raum, vielleicht noch Kanada. Da fehlt einfach die Breite weltweit, damit man dann den Sport populärer und auch interessanter gestalten kann. Möglichkeiten gäbe es da einige.“

„Man kann sich da sehr an den Fußball annähern, zum Beispiel mit dem Tabellensystem. Man zieht die ganze Meisterschaft auf ein halbes Jahr auf. Im aktuellen System ist eine Meisterschaft nach einem Tag vorbei. Wenn die Vereine nicht selbst Veranstaltungen machen, passiert nichts“, nennt Weber ein Beispiel, wie man den Sport attraktiver gestalten kann. Grundsätzlich hofft er auch auf einen Generationswechsel an der Spitze des Sports: „Gewisse Personen sollten den Platz räumen, um den Jungen und neuen Ideen eine Chance zu geben. Das passiert aber leider Gottes nicht. Es sind sehr viele Ideen unterwegs.“

Das große Ziel Olympia

Das verbreitete Vorurteil, der Stocksport sei ein Altherren-Sport, möchte Landesfachwart Weber nicht bestreiten. „Man könnte den Sport sehr, sehr populär machen, man müsste dafür aber die Strukturen ändern“, wiederholt Weber sein Anliegen. Wie bei sämtlichen Randsportarten wären die Olympischen Spiele natürlich eine willkommene Bühne, um sich zu präsentieren. Doch während das „verwandte“ Curling einen Stammplatz bei den Winterspielen hat, muss der Eis- und Stocksport seit Jahrzehnten um die Anerkennung kämpfen. Zweimal durfte die Sportart bislang olympische Luft schnuppern: Bei den Olympischen Spielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen und 1964 in Innsbruck wurde es als Eisschießen in Demonstrationsbewerben vorgeführt. Doch es gibt Hoffnung, dass der Stocksport bei Olympia 2022 in Peking mit von der Partie sein wird. Als erster Schritt wurde Eisstock-Weltverband in das IOC aufgenommen, die Entscheidung über ein Antreten 2022 steht allerdings weiterhin aus. Für den österreichischen Medaillenspiegel wäre es allerdings ein wahrer Segen.

Die olympische Bühne könnte auch ein weiteres Problem beheben, welches im Burgenland genauso akut ist wie im restlichen Land. Alexander Weber erzählt: „Wir kämpfen alle mit dem gleichen Problem. Das ist der Nachwuchs. Wir haben auch einige Schulprojekte begonnen, teilweise sehr erfolgreich. Doch dann kommt das gewisse Alter bei den Jugendlichen, dann kommt die Teenager-Zeit – da fallen dann einige weg. Wenn ich beispielsweise zehn Jugendliche habe, bleiben davon einer oder zwei im aktiven Sport. Die Ausfallsquote ist sehr hoch.“ Es bleibt also noch viel zu tun, um den „heimlichen“ Volkssport Österreichs vor den Vorhang zu holen.

Dieser Artikel erschien in Folge 124 von SPORTaktiv.

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